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15. Internationales Böblinger OPEN 1998

vom 26. bis 30. Dezember in Böblingen

Übersicht , Bericht , Endstand und Partien


Leserbrief von Frank Palm an die Schachwoche
[mit freundlicher Genehmigung des Autors]

Zum Fall "Böblingen"

Liebe Schachwoche-Redaktion,

Seit einigen Wochen geistert diese Allwermann- Geschichte (Böblingen- Open) durch den Schach- Blätterwald. Als langjähriger Schachwoche- Leser berührte es mich angenehm, dass Sie sich in Ihrem Böblingen- Bericht (02/99) nicht an dem Zirkus beleiligten, sondern objektiv die Ergebnisse mitteilten und dabei kurz die aussergewöhnliche Leistung von Clemens Allwermann würdigten.

Doch zu früh gefreut, im Editorial der aktuellen Schachwoche (05/99) haben Sie sich leider doch noch in die Story eingeklinkt. Das Ganze erinnert fatal an Hexenjagden im 15. - 18. Jahrhundert: zwar wird das Opfer heute nicht mehr auf den Scheiterhaufen gestellt, doch sowohl im Verhältnis zwischen Anklägern und Angeklagtem als auch im Mangel an Rechtsstaatlichkeit bei der Konstruktion der Anklage gibt es erstaunliche Parallelen. Die als Hexen Bezichtigten waren in aller Regel emanzipierte Frauen, ihr Aufbegehren gegen die Rolle, die ihnen von der frühneuzeitlichen patriarchalischen Gesellschaft zugewiesen wurde, war für die kirchliche wie weltliche Obrigkeit so unerträglich, dass sie diese Frauen mit einem aus heutiger Sicht schon psychopathischen Hass und Vernichtungswillen überzogen.

Jetzt zu Schachfreund Allwermann: er hat sich ganz offensichtlich geweigert, in der Klassengesellschaft des Schachsports brav seine Rolle als Amateur zu spielen, der zwar sein Startgeld abdrücken darf, aber dann im Turnier an den oberen Brettern nichts zu suchen hat - es sei denn, als Zuschauer in angemessener Entfernung. Und ebenso offensichtlich können einige Vertreter des Schach- Establishments Allwermanns wohl nur einmaligen Ausbruch aus seiner Position in der Rating-Hierarchie nicht ertragen.

Kommen wir zur Konstruktion der Anklage. Wie einst bei Hexenprozessen wird auch gegen Allwermann der fundamentale abendländische Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" mit Füssen getreten. Weder in "Schach" noch in "Schach- Magazin 64" konnten die Autoren der entsprechenden Artikel irgendeinen schlüssigen Beweis anführen. Aber Allwermann hatte sich gegen Caissas göttliche Ordnung aufgelehnt, ergo musste er einfach schuldig sein, und seine Ankläger trugen alles zusammen, was da so gegen den Aussenseiter gemunkelt und gemutmasst wurde. Mini-Empfänger unter langen Haaren, Kamera in der Krawatte - man glaubt unwillkürlich, die Schreiber seien geistig in den Sechzigern bei "Schirm, Charme und Melone" steckengeblieben.

Irgendwie mussten sie gespürt haben, dass derlei allein nicht reicht, um jemanden an den Pranger zu stellen, und so verfielen sie auf den demagogisch durchaus beeindruckenden Vergleich mit dem Programm "Fritz 5.32"'. Allwermanns Partien wurden auf Phasen abgesucht, in denen seine Züge identisch sind mit Vorschlägen des Programms; und, sozusagen als Krönung der Argumentation, unterstellte man ihm, dass seine Ankündigung von "Matt in acht" von einem Computer stammen müsse. So etwas zieht; schliesslich weiss jedermann, wie unterschiedlich Computer und Menschen die meisten Stellungen beurteilen, und dass nur Computer in der Lage sind, in kurzer Zeit alle möglichen Folgen mit einer Tiefe von acht Zügen zu berechnen.

Als Beweis fuer diese These verweist SM 64 (Ausgabe U2/99. S.47) auf eine Serie von Übereinstimmungen von Allwermann-Zügen und Fritz-Vorschlägen ab Zug 31 in der Partie Allwermann - Kalinitschew. Weiss am Zug:

Die nächsten 11 Zuege des Weissen stimmen mit Vorschlägen von "Fritz" überein: für die Ankläger ein Beweis, dass Allwermann irgendwie mit einem Computer in Verbindung gestanden haben muss. Betrachtet man diese Züge jedoch etwas näher, so fällt der sogenannte Beweis in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Ein Teil der Züge erscheint so selbstverständlich, dass sie keines Kommentars bedürfen. Es geht los mit 31.Da7. Dieses Damenopfer ist für Hartmut Metz, dem Autor des SM-64- Beitrages, ein "typischer Computerzug": dabei ist diese Ausnutzung der schwarzen Grundreihenschwäche so naheliegend, dass sie jeder Bezirksligaspieler finden sollte. 31....Tg8 32.Dxb7. Was denn sonst? 32.... Le4 33.Sf4. Drängt sich regelrecht auf angesichts des Materialvorteils und der Mattdrohung auf g2. 33.... Df5 34.Dd7 De5 35.Khl. Auch dies ein durchaus menschlicher Zug, Weiss hat nichts direkt Zwingendes und verhindert mögliche lästige Gegendrohungen, die mit Dd4+ beginnen könnten. 35. ... g5 36.Sh3. Dazu Metz: "die meisten Menschen würden in einer solchen Stellung Sh5 spielen". Mag sein, dass das für ihn gilt; ich habe die Partie in meinem Klub gezeigt, und oh Wunder, ein Spieler mit DWZ 1920, also annähernd Allwermanns Zahl, machte impulsiv den Partiezug. 36.... g4 37.Sf2 Lf5 38.Sxg4! Auch diesen Zug hätte nach Metz nur ein Computer finden können - doch für mich ist es nichts als ein weiterer, zugegebenermassen hübscher, Abwicklungs- versuch. Es braucht kein taktisches Genie, um zu sehen, dass der Sg4 tabu ist und ... Lxd7 zu einem leicht gewonnenen Endspiel führt. 38.... Le4 39.T7xf6 Lxg2+ 40.Kxg2 De4+ 41.Kh3.

Damit haben wir die Position erreicht, in der Weiss das durch die Presse gehende Matt in acht ansagte. Die schwarze Stellung ist ein Müllhaufen: im Grunde war bereits 38.... Le4 (statt aufzugeben) eine Frechheit, und man kann sich gut vorstellen, dass der Amateur überlegte, wie er den arroganten Profi demütigen könne.

Warum nicht eine altmodische Mattansage, schliesslich war schon optisch absehbar, dass der schwarze König nicht mehr lange zu leben hatte. Metz meint, eine solche Ankündigung "können nämlich nur Computer mit hundertprozentiger Sicherheit vorhersagen". Zweifellos, nur ist dieses "Argument" völlig unsinnig, und Metz weiss dies wahrscheinlich auch. Denn im Unterschied zum Computer machen Menschen solche Ankündigungen emotional, z.B. weil sie sich vom Gegner geärgert fühlen oder weil sie für die Galerie spielen wollen. Im romantischen 19. Jahrhundert waren Mattansagen an der Tagesordnung, und niemand dürfte dabei Millionen und Abermillionen rein technisch möglicher Varianten durchgerechnet haben. Vielmehr filtert der Mensch lediglich die "nach menschlichem Ermessen" wesentlichen Abfolgen.

Frank Palm, D-21073 Hamburg

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