84. Deutsche Schacheinzelmeisterschaft

vom 5. bis 14. September 2013 in Saarbrücken


Tag seche: Remisseuche oder gegenseitiges Belauern
Von Frank Zeller

Vorsicht heißt das Schlagwort am 6. Tag der Deutschen. Die sieben Spitzenbretter enden allesamt mit Remis. Das Tableau zeigt eine Beibehaltung der Reihenfolge, es ist eher noch dichter in der vorderen Hälfte geworden. Wie beim Radfahren oder beim Mittelstreckenrennen scheinen sich die Kontrahenten zu belauern. Wer wird einen Ausreißversuch wagen? Die jungen Hasen sind theoretisch sehr gut aufgerüstet, lassen dann aber Umsicht walten oder wollen mit Schwarz nicht mehr als Remis. Die alten Hasen meiden eh das unübersichtliche, theorieintensive Gelände und streben sichere Positionen an. Die Hauptforderung ist jedenfalls: nur nicht verlieren! Noch ist alles drin!

Und noch was fällt auf: kein einziges 1.e4 an den Spitzenbrettern. Ist e4 veraltet? Das erste Dutzend in der Tabelle spielt fast nur geschlossene Eröffnungen, meist 1.d4. Auch heute wieder: an den ersten 6 Brettern sieht man nur den Aufzug des Damenbauern! Selbst Hagen Pötsch, eingefleischter 1.e4-Spieler, greift in dieser Stunde zum d-Bauern. Fürchtet er, ansonsten von den Tischnachbarn nicht ernstgenommen zu werden? Immerhin, Daniel Fridman beginnt mit neutralem 1.g3, aber nur, um im dritten Zug den Damenbauern ins Feld zu ziehen.

Kann man denn nur mit 1.d4 Deutscher Meister werden? Gewinnen, so die Quintessenz, fällt jedenfalls mit dem „linken Aufschlag“ schwer. Verlieren ebenso! Sieben Remisen an den Spitzenbrettern – die erste entschiedene Partie findet an Brett 8 statt, der glückliche Gewinner ist Andre Oberhofer. Und was hat er gespielt? Richtig, 1.e4! Soviel Mut gehört belohnt. Es muss doch was an Gyula Breyers Bonmot dran sein: „nach 1.e4 liegt Weiß in den letzten Zügen.“ Nur noch die Verwegensten riskieren den Griff zum e-Bauern.

Remis ist nicht gleich Remis. Es gab auch, vor allem unter den jüngeren Kontrahenten, hartumkämpfte, spannende Partien. Unspektakulär verlief etwa das Duell der Tabellenführer, Rene Stern gegen Rainer Buhmann. Stern mied als Weißer das Risiko, strebte Symmetrie und Abtausch an. Das gelang. Auf der c-Linie wurde das ganze Schwermaterial runtergetauscht, das Unentschieden war alsbald unterschriftsreif.

Krämer Ungewöhnlicher dann aber das Geschehen an Brett 2, wo sich Klaus Bischoff gegen Martin Krämer (Bild) mit dem Königsfianchetto verteidigte und recht früh mit einem Bauernvorstoß am Flügel aufwartete:. Auch dort erfolgte der Remisschluss nach nur 30 Zügen. Die vielleicht spannendste Partie der Runde wurde an Tisch 3 zwischen Johannes Carow und Matthias Blübaum gespielt. Die beiden Jugendlichen erreichten eine unausgegorene Mittelspielsituation. Blübaum tauschte seinen schlechten Läufer ab, erhielt eine Pferdbasis auf d5, im Gegenzug erhielt Carow Raumvorteil und Aussichten zum Königsangriff. Welche Vorzüge würden sich durchsetzen? Mit 23.Tc4! begann Weiß seine Kräfte nach rechts zu beordern. Und tatsächlich begann Blübaum zu wackeln. Spätestens nach 26.Lf4-g5! sah es brenzlig für Schwarz aus. Blübaum zeigte unter Druck indes, dass er trotz seines jungen Alters recht abgebrüht ist und weiß, wann und wie man psychologische Wendungen herbeiführen muss, und opferte mit 26. …Sf5! die Qualität, um den Charakter der Partie zu ändern. Weiß fehlte plötzlich Koordination, zudem wurde die Zeit knapp. Carow verlor etwas die Übersicht und war letztlich froh, eine Zugwiederholung in die Wege leiten zu können. Also auch Remis, aber ein Spannendes!

Verdächtig stand Hagen Pötsch, der Gegner Alexander Donchenko mit 1.d4 überraschen wollte. Ob der Schwarze die Eröffnungsvariante des Vortages wiederholen würde? Doch Donchenko roch den Braten und wich durch 3. …e5 (statt 3. …b5) ab. Nun musste sich Pötsch an die neue Umgebung gewöhnen, Donchenko schien wie oft bestens präpariert, und ausgangs der Eröffnung stand schon eher er besser. Schwarz nahm später die erstbeste Möglichkeit wahr, um Dauerschach zu geben. Im Unterschied zu seinen Prinzenkollegen scheint Alexander noch etwas der Killerinstinkt abzugehen.

So kämpfe Dennis Wagner mit Schwarz gegen Michael Kopylov fast 90 Züge lang um den vollen Punkt, konnte aber die Festung im Endspiel Dame gegen Turm und Springer nicht brechen. Auch Nationalspieler Daniel Fridman kam nicht zum Erfolg gegen Christian Braun. Ich hätte wetten können, dass der beschlagene Techniker Fridman das Endspiel gegen den Isolani zum Gewinn führt. Doch Braun verteidigte sich sehr aufmerksam und zeigte wieder einmal, dass ein Isolaniendspiel noch lange kein Grund für eine Niederlage sein muss. Fridman tut sich immer noch schwer, ins Turnier zu kommen Zwar hat sich an der Ausgangslage nichts geändert, aber man traut ihm diesmal nicht recht die Titelverteidigung zu.

Graf Grund zur Enttäuschung vom heutigen Tag mag vor allem Felix Graf (Foto) haben – er stand kurz vor einem Sieg gegen Rasmus Svane. Unterstützt von Zentrum und Läuferpaar startete er um Zug 25 einen Königsangriff, der auch ohne Damen erfolgreich hätte sein könne, ja müssen. Plötzlich versandete der Vorteil, Graf konnte das zunächst nicht recht glauben, musste aber nach 48 Zügen doch in die Punkteteilung einwilligen.

Morgen stehen die Spitzenpaarungen Bischoff – Stern sowie Buhmann gegen Kopylow an. Sind wir mal gespannt, ob es morgen mehr entschiedene Partien geben wird!



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© 8.96 by Gerhard Hund - Update 12.09.2013